• Τρί, 18/08/2015 - 19:11
,,Es gibt keine Alternative in diesem System“ [Eirini Iliopoulou ]

In Deutschland nimmt derzeit die Debatte um eine linke Position zum Euro und der europäischen Union Fahrt auf. Während die Positionen des rechten SYRIZA-Flügels und jene der KKE in der deutschen Linken relativ bekannt sind, gehen andere unter. Höchste Zeit also, mit AktivistInnen eines wichtigen außerparlamentarischen Players ins Gespräch zu kommen, der in der Debatte hierzulande oft zu kurz kommt: Eirini Iliopoulou ist linke Aktivistin und aktiv im linksradikalen Bündnis ANTARSYA. Jan Ronahi hatte die Gelegenheit, sie zu den aktuellen Entwicklungen und dem Stand der Debatte in Griechenland zu interviewen.

 

1. Hallo Eirini, kannst du dich und die Organisation, deren Mitglied du bist, kurz vorstellen? In welchen Kämpfen ist die Organisation aktiv? In welchem Verhältnis steht die Organisation zu anderen Teilen der Linken und sozialen Bewegungen?

Die Antikapitalistische Linke für den Umsturz (ANTARSYA) wurde im März 2009 im Rahmen eines Kongresses verschiedener Parteien, Organisationen, Aktivisten, Studenten und Intellektuellen der radikalen, antikapitalistischen Linken gegründet. In einer Atmosphäre des Enthusiasmus mit mehr als tausend am Kongress teilnehmenden GenossInnen, unterstrich dieses neugeborene Bündnis der revolutionären Linken die Notwendigkeit, einen anderen Weg für die griechische Linke und die Arbeiterklasse vorzuschlagen, ebenso wie die Notwendigkeit einer Radikalisierung der Bewegungen der Arbeiter und Jugend, die in den Monaten zuvor in den Straßen Geschichte geschrieben hat – insbesondere in der Dezember Revolte 2008. Verschiedene politische Strömungen und theoretische Traditionen kamen unter dem gleichen Vorzeichen zusammen und konstituierten mit der Gründung ANTARSYAs einen der vielversprechendsten Schritte in der Geschichte der kommunistischen, revolutionären und ökologischen radikalen Linken Griechenlands. Damit meine ich vor allem, dass ANTARSYA nicht aus dem Blauen heraus entstand. Es ist im Prinzip ein Schmelztiegel von AktivistInnen und Organisationen, die zuvor in den Generalstreiks, in Graswurzel- und Basisinitiativen, den Gewerkschaften, der SchülerInnen und Studierendenbewegung, verschiedenen Mobilisierungen gegen Krieg, Rassismus, Faschismus, Umweltzerstörung und die Aushöhlung demokratischer Rechte aktiv waren. Dazu kam die Tatsache, dass diese politisch Aktiven auch während jener reaktionären Zeit des vermeintlichen ,,Endes der Geschichte“ (Francis Fukoyama – Anm. d. Autors) auf dem revolutionären Erbe der radikalen Linken beharrten. Sie gründeten bereits vor ANTARSYA Initiativen und gaben zeitlebens den Kampf nicht auf – auch entgegen der objektiven Tatsache einer niedrigeren Wirkmächtigkeit der Linken. Heute ist diese Attitüde nicht mehr allgemein für die revolutionäre Linke vorauszusetzen.

Antarsya in Aktion - insbesondere die Präsenz in den sozialen Bewegungen und auf der Straße ist ANTARSYA wichtig

Antarsya in Aktion – insbesondere die Präsenz in den sozialen Bewegungen und auf der Straße ist ANTARSYA wichtig

ANTARSYA bereicherte die Teilhabe der Linken an den sozialen Bewegungen, spielte eine führende Rolle in allen Teilen der Bewegungen und unternahm stets Anstrengungen der Radikalisierung von Inhalt und praktischer Aktion. Von der Bewegung des Syntagma-Platzes zu den Anti-Memoranden-Protesten, vom antifaschistischen und antirassistischen Kampf bis hin zu den Wahlen versucht ANTARSYA an den Arbeitsplätzen, in den Stadtteilen, in allen Momenten der Bewegung, ebenso wie in der politischen Szene der Linken, einen Ausbau der gegenseitigen Bezüge und eine Zusammenarbeit auch jenseits vorhandener Grenzen zu schaffen, um auf den gesamtgesellschaftlichen Umsturz hinzuarbeiten.

Was mich zum letzten Teil deiner Frage bringt: ANTARSYA unterstreicht immer wieder die Notwendigkeit einer weit gefassten Kooperation mit unterschiedlichen Teilen der sozialen Bewegungen, sowohl in der Entwicklung eines gemeinsamen Kampfes gegen einen gemeinsamen Feind, wie auch der Ausbildung von gegenseitiger Solidarität. Wir verneinen nicht, dass es ideologische, strategische und taktische Differenzen gibt, aber im selben Moment begreifen wir eben jene Differenzen als Feld der Debatte und der Möglichkeit des Ineinandergreifens. Es gibt eine ganze Reihe an Beispielen für diese Art der Zusammenarbeit, aber es gibt sicherlich auch noch einiges zu tun. Schließlich zielt ANTARSYAs politisches Programm auf zwei grundlegende Formationen: Die moderne Arbeiterklasse einerseits und die auch andere politische Kräfte umfassenden politischen und sozialen Bewegungen, die einen wichtigen Aspekt für eine mögliche radikale Restrukturierung der Gesellschaft darstellen. Später werde ich nochmal darauf zurück kommen, aber einen Kommentar schon mal an dieser Stelle: heute ist ANTARSYAs Verantwortung noch viel größer. Solange SYRIZA auf die Anbindung an die EU, die Austeritätsdiktate und die Memoranden beharrt und dabei die radikaleren Stimmen der Linken unsichtbar macht, muss ANTARSYA die restlichen linken Kräfte bestärken und gemeinsam mit diesen einen radikaleren Plan entwickeln – angelehnt an die Bedürfnisse der Bevölkerung contra derer des Kapitals, der EU, der Banken und des Imperialismus.

2) Die vergangenen Wochen waren ja recht turbulent, lass uns aber bevor wir über das Aktuelle sprechen nochmal ein Schritt zurück gehen. Ihr hattet ja schon weit vor den Wahlen im Januar Kontakt mit SYRIZA oder einzelnen Gruppen innerhalb der Partei. Wie war denn euer Verhältnis zu SYRIZA z.B. in den sozialen Bewegungen der vergangenen Jahre?

Also, wir müssen zugeben, dass die vergangenen Wahlen im Januar einen wichtigen Wendepunkt darstellten. Die Beziehung von ANTARSYA zu SYRIZA vor den Wahlen und vor dem Zeitpunkt der Regierungsübernahme war im Prinzip ein Verhältnis unter GenossInnen, die gleichermaßen in soziale Bewegungen interveniert und in diesen agiert haben. Da ANTARSYA ja explizit den Anspruch hat, mit anderen linken politischen Kräften in diesen Feldern der Auseinandersetzung zusammenzuarbeiten, haben wir konstant die Bindungen zueinander auf- und ausgebaut; in einer Vielzahl an Initiativen und Aktionen agierten wir gemeinsam und gingen gemeinsam auf die Straße. Allerdings stand insbesondere die SYRIZA-Führung immer auf klarer Distanz zu uns, schließlich passten bestimmte radikale Forderungen, wie z.B. der radikale Schuldenschnitt, die Nationalisierung der Banken, die Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien und der Ausstieg aus der EU und Eurozone, nicht zu deren politischen Agenda. Es gibt eine Reihe exemplarischer Beispiele von Mitgliedern SYRIZAs und Mitgliedern des Parlaments, die öffentlich die Unterschiedlichkeit und Distanz SYRIZAs zu ANTARSYA betont haben, um bestimmte ,,Werte“, wie Stabilität, Rationalität und Vernunft gegen eine mögliche Radikalisierung in Anschlag zu bringen.

Und ab in die Mülltone - Die EU bietet keine Perspektive für die ArbeiterInnen

Und ab in die Mülltone – Die EU bietet keine Perspektive für die ArbeiterInnen

Wie auch immer sind wir nun nach einer weiteren Periode der historischen Entwicklung an dem Punkt, dass die Unterschiede in Strategie und Taktik zwischen uns klarer sind wie eh und je: z.b. zeigt das vergangene Referendum, dass es keine bessere Alternative für das Leben der Bevölkerung in der EU und Eurozone gibt. Es kann keine Abmilderung des sozialen Kahlschlags innerhalb des Teufelskreises, den die internationalen Gläubiger etabliert haben, geben. Die Eurozone mit einer revolutionären Perspektive zu verlassen, ist kein besonders originelles Konzept, würde jedoch die taktische Möglichkeit für die Bevölkerung bieten, die Krise zu überstehen und ihre untragbaren Begleiterscheinungen loszuwerden. Innerhalb SYRIZAs gibt es immer noch Kräfte, die genau diese Standpunkte nach wie vor vertreten und darauf hoffen, dass es eine radikale Entwicklung in SYRIZA geben wird. ANTARSYA wird die bereits eingeschlagene politische Richtung des Ausbaus von Bündnissen im Bewusstsein darum fortführen, dass wir in den instabilsten Zeiten der derzeitigen historischen Periode kämpfen, die eine Reihe sozialer Dynamiken für den Umsturz freisetzen kann.

3) Im Januar diesen Jahres hat SYRIZA einen Erdrutschsieg errungen, der sicher, trotz der guten Umfragewerte im Vorfeld, in dieser Dimension für viele überraschend kam. Weite Teile der deutschen Linken, bis hinein in die radikale Linke, verbanden mit einer möglichen SYRIZA-Regierung die Hoffnung, dass das europäische Austeritätsregime bröckeln könnte. Andere gingen noch weiter und erhofften sich eine Perspektive für eine soziale Transformation der EU. Habt ihr Potenzial in einer SYRIZA-Regierung gesehen oder dem Projekt von Anfang an skeptisch gegenübergestanden?

Der Aufruf ANTARSYAs zu den vergangenen Wahlen in Griechenland umfasste als höchste Priorität klar die Abwahl der rechten Regierung unter Führung der konservativen Nea Demokratia (ND) und der PASOK, sowie die Stimme gegen die faschistischen Banden der Goldenen Morgenröte (XA). Das war unsere höchste Priorität, die vollkommen im Einklang mit den Interessen der lohnabhängigen Bevölkerung stand, die Memoranden-Regierung zu stürzen, die für absolut inakzeptable, folgenschwere Maßnahmen gegen das griechische Volk stand. In diesem Sinne war das Resultat der Wahl tatsächlich eine schwere Niederlage für jene reaktionären Kräfte der Nea Demokratia (ND) und PASOK. Durch die Abwahl dieser Kräfte bzw. aller mit dieser Perspektive verbundenen Parteien (wie z.B. auch DIMAR, LAOS und KIDISO) und der Stärkung SYRIZAs, äußerten die Menschen ihre Verärgerung über die vergangenen fünf Jahre der Krise, der Armut, des Elends und der Unterdrückung. Gleichzeitig kann auch das Abschneiden von ANTARSYA-MARS als ein positives Zeichen gewertet werden. Es spiegelte nicht nur die Notwendigkeit eines Übergangs-Programms zur Rekonstruktion der Produktion und des Sozialen wieder, sondern auch ein gewisses Misstrauen gegenüber SYRIZAs Vorhaben, soziale Entlastung im Rahmen der EU und Eurozone zu finden.

Von Anbeginn an waren wir klar und deutlich: ANTARSYAs Programm ist kein visionärer Masterplan von Technokraten oder hochgestochenen Intellektuellen, sondern hofft, die Bedürfnisse der Bevölkerung aufzufangen und einen gangbaren Ausweg aufzuzeigen. In diesem Sinne investierte ANTARSYA kaum Kräfte in einen innerlinken ,,Bürgerkrieg“, jedoch umso mehr in das Herausstellen einer radikaleren Option eines neuen gesellschaftlichen Lebens jenseits der EU und des Euro-Gefängnisses, ohne die inakzeptablen Kürzungs- und Memorandenpolitiken, durch die Nationalisierung des Bankensystems und die Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien. Wir feierten also den Fall der reaktionären Regierung, ließen SYRIZA aber keine Auszeit während sie begann mit unseren schlimmsten Feinden über unsere Grundbedürfnisse und Rechte zu verhandeln und gleichzeitig den Herrschenden immer wieder versicherte, dass die SYRIZA-ANEL Administration die politische Ordnung nicht gefährden werde.

ANTARSYA bezieht sich auf eine Vielzahl sozialer Bewegungen - z.B. die Anti-Goldminen Proteste in Skouries (Chalkidiki)

ANTARSYA bezieht sich auf eine Vielzahl sozialer Bewegungen – z.B. die Anti-Goldminen Proteste in Skouries (Chalkidiki)

Schließlich wurde von dieser Administration nun ein drittes Memorandum unterzeichnet, welches das griechische Volk in einen noch tieferen und dunkleren Abgrund von Armut und Elend stürzt. Nach für nach wird der lohnabhängigen Bevölkerung klar, dass es keinen Weg gibt, diese Situation ,,wegzureformieren“, sondern nur jenen diesen Zustand rundweg abzulehnen und einen ganzheitlichen Ansatz zu entwickeln, der sowohl das politische als auch das gesellschaftliche Leben umfasst und in Richtung einer umfassenden Befreiung, auf den Kommunismus auf der Höhe der Zeit, zielt. In diesem Sinne sehen wir keine Hoffnung solcher Art, wie SYRIZA es während ihrer gesamten Kampagne über tat, noch können wir unsere Hoffnung in die Taktiken der Regierung setzen. Auf der anderen Seite legen wir klare Hoffnungen in den 62%, die im Referendum des 5. Juli mit ,,Oxi“ stimmten; wir legen Hoffnungen in die Menschen die auf Chalkidiki weiterhin gegen Eldorado Gold kämpfen, wir legen Hoffnungen in die breiter gefasste internationalistische Bewegung, die ihre Solidarität in der Praxis immer wieder bewiesen hat; wir legen unsere Hoffnung in die selbstorganisierten Solidaritäts- und Hilfsnetzwerke und schließlich legen wir unsere Hoffnung in all jene sozialen Dynamiken, die sich gegen die allgemeine Furcht und Erpressung richten.

4) Nun wurden ja einige Maßnahmen von der SYRIZA-Regierung in Angriff genommen, die so z.B. von anderen Regierungen nie angegangen worden wären. Z.B. wurde der von der Vorgängerregierung geschlossene Fernsehsender ERT wieder eröffnet, das berüchtigte Refugee-Gefängniscamp Amygdaleza geschlossen, obwohl die nationalistisch-konservative ANEL an der Regierung beteiligt ist. Gleichzeitig hat SYRIZA keinerlei Bemühungen unternommen Schlüsselindustrien zu vergesellschaften. International stellte man sich relativ schnell gut mit den Gläubigern und der Troika bzw. erklärte sie zu ,,Partnern“. Wie erklärt ihr euch den Zick-Zack Kurs SYRIZAs?

SYRIZAs Rhetorik hat in der Vergangenheit unterschiedliche Wege eingeschlagen, die so undurchsichtig waren, dass sie zur selben Zeit widersprüchliche Strategien und Szenarios widerspiegelten. Tsipras äußerte in der Vergangenheit, dass er die Memoranden ,,zerreißen“ und sie ,,mit nur einem Gesetz“ abschaffen wolle. Heute trägt er ein brandneues Memorandum mit, dass die Vorangegangenen weit in den Schatten stellt. In diesem Zusammenhang etabliert die SYRIZA-ANEL Regierung eine neue Doktrin: eine neue TINA-(there is no alternative)Politik. Tatsächlich existiert diese TINA-Politik, aber nicht in dem Sinne, wie die Regierung es sich gerne wünscht. Es gibt keine Alternative in diesem System, keine Alternative im EU-Gefängnis, keine gesellschaftliche Alternative, wenn man mit jenen verhandeln will, die für die Zerstörung der Lebensgrundlagen der lohnabhängigen Bevölkerung verantwortlich sind. Solange also SYRIZA die Grundlagen der derzeitigen Situation nicht bereit ist anzutasten, können wir nicht von einem Zick-Zack, sondern von einer offensichtlichen Sackgasse der Regierungsstrategie sprechen. Es ist klarer als jemals zuvor, dass sie in die gefährlichen Gewässer des kleinteiligen taktischen Manövrierens geraten, während sie die gesamtgesellschaftliche Katastrophe hinnehmen.

5) Varoufakis hat in einem online erschienenen Essay mit dem bezeichnenden Namen ,,Rettet den Kapitalismus!“ die Analyse vertreten, dass die derzeitige Krise des Kapitalismus ,, (…) kaum eine bessere Alternative zum Kapitalismus hervorbringen, sondern viel eher gefährliche rückwärtsgewandte Kräfte entfesseln (wird), die ein Blutbad verursachen und gleichzeitig jede Hoffnung auf Fortschritt auf Generationen hinaus vernichten könnten“. Ist die Mobilisierungskraft der griechischen Linken tatsächlich so schwach, ihr Organisationsgrad so niedrig, dass Varoufakis Recht behalten könnte, oder rechtfertigte er hier schon früh einen reformistischen Ansatz, der im Grunde genommen eine sozialdemokratische Krisenverwaltung begründet?

Zu einer anderen Situation und in anderen Worten äußerte hier Varoufakis nichts anderes, als das, was der Premier Tsipras seit 2008 – also seit 7 Jahren – konstant wiederholte, als er vorschlug, dass eine mögliche SYRIZA-Regierung ein Garant für Stabilität gegenüber nicht-kontrollierbaren sozialen Unruhen sein könnte. Das Argumentations-Schema war klar: Die Krise des Kapitalismus ist brutal und arrangiert die gesellschaftlichen, d.h. die internen und externen Verhältnisse der Gesellschaft neu. Die Antwort darauf ist ,,Stabilität“, zum einen gegen ein mögliches Erstarken faschistischer Bewegungen, was auch ein reales Szenario ist und einer ernsthaften antifaschistischen Antwort bedarf, jedoch im Gegensatz zu einer Politik steht, die die Verhältnisse zuspitzen und den Umsturz realisieren will. Letzteres Konzept führt von der ,,Keine Opfer für den Euro“- (das ursprüngliche Motto SYRIZAs) hin zur ,,In der Eurozone um jeden Preis“-Haltung. Als Ergebnis dieser veränderten Haltung akzeptierte die SYRIZA-ANEL Regierung die Bedingungen für ein neues Memorandum entgegen einem möglichen ,,Grexit“ oder potentiellen finanziellen bzw. soziopolitischen Instabilitäten und gesellschaftlichen Unruhen. Auf der anderen Seite investierte die Regierung einige Anstrengungen in der Etablierung einer neuen TINA-Mentalität, um die Bevölkerung zu überzeugen, dass es keinen anderen Weg gäbe, wenn Griechenland ein modernes, westliches Land bleiben wolle. Dieses Konzept vergisst, dass kein entwickeltes Land im 21. Jahrhundert Tausende in Elend, Arbeitslosigkeit, Armut und sogar den Suizid treiben sollte. Keine europäisches Gesellschaft sollte derartige Kürzungen im Gesundheits- und Bildungswesen unwidersprochen hinnehmen müssen, während die Werftbesitzer und das Kapital Millionenumsätze fahren, ohne einen Cent Steuern zu bezahlen. Für ANTARSYA ist dieser Zustand nicht mit weiteren Eurogruppen-Vereinbarungen oder Vereinbarungen zwischen der Regierung und ihren vormaligen innenpolitischen Gegnern, die im übrigen alle geschlossen für die neuen Austeritätsmaßnahmen stimmten, zu überwinden. Diese Instabilität ist ein Charakteristikum der soziopolitischen Krise des Kapitalismus und wird es bleiben. Deshalb ist es nicht unsere Pflicht klein bei zu geben und unsere Leben unter jene erpresserische Politik zu unterwerfen. Unsere Pflicht ist es, Vorteile aus der derzeitigen Instabilität zu ziehen und emanzipatorische Tendenzen zu bestärken. Das ist eine offene Wette, die gewonnen werden will…

6) Die Kommunistische Partei stand dem Referendum, das SYRIZA nach den gescheiterten Verhandlungsrunden Ende Juni anberaumt hatte, kritisch gegenüber. Die Prognose bewahrheitete sich schließlich, dass SYRIZA in der Abstimmung nicht ein Votum um den Verbleib in der Eurozone abhielt, sondern das Ergebnis dazu nutzen wollte, um gestärkt in neue Verhandlungen zu gehen. Wie war eure Haltung zum Referendum? War das Referendum trotz der aktuellen Entwicklungen dennoch wichtig, oder teilt ihr die Einschätzung der KKE?

Wir sehen ANTARSYA klar als ein Teil der kommunistischen Linken, die ein strategisches Ziel verfolgt; Soziale Befreiung und den Kommunismus auf der Höhe unserer Zeit. Darüber hinaus sind wir überzeugt, dass dieses Ziel durch eine antikapitalistische Revolution erreicht werden kann. Wichtig ist hier, dass wir der Meinung sind, dass ein kämpfendes Volk Fortschritte im hier und jetzt erzielen und währenddessen ein Bewusstsein für einen Kampf für ein besseres Leben gewinnen kann. Daher begrüßen wir alle Momente, in denen es die Arbeiterklasse erreichen konnte, für ihre Rechte aufzustehen und die Herrschenden zur Erfüllung ihrer Forderungen zu zwingen. Das ist für uns in zweierlei Hinsicht wichtig: zum einen in Bezug zu größeren oder kleineren sozialen Entlastungen, zum anderen für die Entwicklung eines kollektiven Bewusstseins. Wir begreifen also historische Entwicklungen als Schnittstellen, die das Bewusstsein der Kämpfenden potentiell langfristig entwickeln können. Das Referendum vom 5. Juli war eine große Chance für die Bevölkerung, die Furcht und den Terror der Medien, der reaktionären Kräfte, des Marktes und der Herrschenden der EU zu durchbrechen und gegen die Austerität und die Memoranden-Politik zu stimmen. ANTARSYA setzte seine ganze Kraft für die ,,Oxi“-Kampagne ein und brachte parallel soziale Perspektiven in diese ein. In einer Situation der geschlossenen Banken, politischem Terror und Propaganda, votierten 62% der griechischen Bevölkerung für ,,Oxi“ und setzten damit ein Zeichen für den Wechsel. Es ist interessant hierbei zu vermerken, dass diese 62% vor allem durch die Stimmzahlen der armen Teile der Bevölkerung zustande kam, was wiederum die Zuspitzung der Klassengegensätze aufzeigt.

,,Oxi!'' - das Wahlbündnis ANTARSYA-MARS unterstützte Ein ,,Nein!'' im von der SYRIZA-ANEL-Regierung anberaumten Referendum im Juli

,,Oxi!“ – das Wahlbündnis ANTARSYA-MARS unterstützte Ein ,,Nein!“ im von der SYRIZA-ANEL-Regierung anberaumten Referendum im Juli

Die Kommunistische Partei (KKE) folgte ihrem eigenen Pfad, d.h. den der Abwesenheit oder des Ungültig-Wählens. Wir halten diesen Pfad für falsch und inakzeptabel, da wir der Meinung sind, dass Kommunisten nicht aus dem Abseits der Debatte heraus und in einer elitären und distanzierten Art und Weise die Arbeiterklasse bevormunden sollten. Diese Taktik hat noch nicht einmal die KKE-Basis selbst überzeugen können, die mehrheitlich für ,,Oxi“ stimmte. Gleichzeitig ist der Fakt, dass SYRIZA einige Tage nach dem Referendum so tat, als hätte es kein ,,Oxi“ ergeben, und ein neues Memorandum unterzeichnete, kein Zeichen für die Richtigkeit der Einschätzung der KKE. Jene 62% sind noch ausbaufähig und können noch bestimmender werden; sie können eine Art Brutstätte für die nächsten Schritte der sozialen Bewegung sein. In diesem Sinne wird ANTARSYA Anstrengungen unternehmen, diese Prozentzahl in eine soziale Front zu transformieren, die den Verrat der Regierung ablehnt und für ein ,,Nein bis zum Ende…!“ eintritt.

7) International, aber auch in der griechischen Linken wird inzwischen offen von einem möglichen ,,Grexit“ als einzige mögliche Alternative zu weiteren Memoranden gesprochen. Meistens geht diese Forderung mit einer EU-skeptischen Haltung aus der Linken oder der europäischen Rechten (z.B. Schäuble) einher, die alles andere als Common Sense in der europäischen Linken ist. Wie seht ihr die EU und die Eurozone? Ist eine sozialistische Perspektive im Rahmen der EU denkbar, oder wäre ein gut geplanter ,,Grexit“ die einzige Option?

Die Eurozone zu verlassen gleicht heute dem Öffnen eines Fensters, um einen ersten Atemzug nehmen zu können. Keine soziale Reform oder Restrukturierung kann im Rahmen der EU und dem Euro-Gefängnis gelingen – im Speziellen in der derzeitigen Situation, in der das europäische Kapital so brutal zuschlägt, dass es kaum noch Raum für etwas wie ,,Soziale Gerechtigkeit“ gibt. Die Idee einer großen ,,Europäischen Familie“ ist bereits zusammengebrochen und beerdigt unter der Asche der EU-Kriegsführung der vergangenen Jahrzehnte, in den imperialistischen Plänen, der inhumanen Flüchtlings- und Migrationspolitik, die Grenzen die ein- und ausschließen…. Die Vision eines gemeinsamen Währungssystems hat bereits ihre eigentliche Funktion in den vergangenen Jahrzehnten offenbart: den Lebensstandart der ArbeiterInnen in Nord- und Südeuropa zu senken unter Inkaufnahme untragbarer Zustände, wie der Zunahme der Arbeitslosigkeit, der neuen Obdachlosigkeit und dem sozialen Abgrund. In Griechenland steht die EU-Troika und ihre wechselnden Regierungspartner im Land hinter jedem geschlossenen Krankenhaus, jedem Pleite gegangenen Geschäft, dem tonnenweise weggeworfenen Gemüse der Bauern, die ihre Produkte nicht exportieren können, den dunklen und kalten Häusern ohne Licht – und die Liste ist beliebig fortzuführen… Die Antwort ist also – um dahin zurück zu kommen -, dass es keine hoffnungsvolle Perspektive der ArbeiterInnen im Rahmen der Europäischen Union und der Eurozone gibt. Vielmehr kann es keine sozialistische Perspektive in diesem Käfig geben. Auf der anderen Seite kann ein ,,Grexit“ nicht ohne eine antikapitalistische Perspektive, die das gesamte ökonomische Leben nach neuen, demokratischen und sozialen Standards restrukturiert, auskommen.

8) SYRIZA ist nun vor den internationalen Gläubigern und der Troika eingeknickt. Welche Folgen ergeben sich aus eurer Perspektive für die kommende Zeit aus dieser Niederlage für die griechische Linke? Welche Fehler seht ihr bei Anderen und bei euch, was kann die deutsche Linke von der aktuellen Situation lernen?

Ich werde dir einen kleinen Einblick in die ,,inoffiziellen“ Debatten dieser Tage unter GenossInnen geben: Es gibt da ein paradoxes Phänomen. Obwohl die allgemeine Situation sich zunehmend verschlechtert und die kommenden Austeritätsmaßnahmen sogar noch brutaler als die Vorangegangenen werden, geht mit dieser Entwicklung ein gewisser Optimismus einher. Dieser Eindruck hört auf komisch zu sein, wenn einem klar wird, dass nun ein Zeitpunkt gegeben ist, in dem verschiedene Rollen und Ideen eindeutig werden. Wenn vor ein paar Jahren die Vorstellungen der revolutionären Linken noch als utopische Hirngespinste galten, so erscheint heutzutage die antikapitalistische Revolution als eine notwendige Antwort der Arbeiterklasse – eine, um schlicht besser zu leben. Wir befinden uns in einer Zeit der Instabilität und Unsicherheit: wir können Vermutungen anstellen, aber wir können nicht sicher sein, in welche Richtung sich die Wut Bahn brechen wird. Die gesamte Linke muss die vorantreibende Kraft gegen die allgemeine Furcht sein, die das kommende Unbekannte aufdeckt und das Unmögliche zu einer Möglichkeit für alle macht. Wir müssen unsere schlechten Seiten hinter uns lassen, uns vereinigen und die Gewerkschaften und Graswurzelinitiativen revitalisieren, die Menschen in den Stadtteilen, den Schulen und an den Arbeitsplätzen organisieren, den Willen der 62% ausdrücken, die im Juli für ein ,,Oxi“ gestimmt hatten, gegen Faschismus und Rassismus auf die Straße gehen und breitere Bündnisse in den sozialen Bewegungen schließen.

In Zeiten der Enttäuschung, des Verrats und des Misstrauens, müssen wir umso widerständiger gegen all jene sein, die nun die Niederlage predigen. So gesehen kann die arbeitende Bevölkerung in Deutschland, ebenso wie unsere internationalen GenossInnen in der Linken und den sozialen Bewegungen eine aktive Rolle der Solidarität mit dem griechischen Volk spielen. Das wichtigste am Konzept der internationalen Solidarität ist, dass jede und jeder in der jeweilig gegebenen sozialen Struktur gegen jene Kräfte kämpft, die die Völker spalten und Hass unter diesen schüren wollen, hin zu einer internationalen sozialen Befreiung. Die internationale kommunistische Bewegung hat eine lange Tradition und inspirierende Geschichte. Und natürlich enthält diese auch Fehlschläge und Fehleinschätzungen, die nicht wiederholt werden dürfen. Aber am Ende des Tages haben wir gelernt, dass, wenn die Herrschenden vom ,,Ende der Geschichte“ reden, die rote Fahne bleibt und rein gar nichts geendet hat.

– Jan Ronahi [LCM]

via lowerclassmag.com

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